HILFE FÜR HERKUNFTSELTERN (Tipps von Betroffenen)
1. Muss Adoption wirklich sein?
Adoption - egal welcher Art - ist eine dauerhafte Trennung von Mutter und Kind.
Die frühe Bindung zwischen Mutter und Kind ist ein entscheidender
Lebensabschnitt für beide und kann bei einer Trennung zu einer Frühtraumatisierung
des Kindes führen.
Viele Herkunftsmütter beklagen später, dass sie sich bei der Entscheidung von
anderen beeinflussen oder sogar drängen lassen haben, z.B. von Personen, zu
denen ein Abhängigkeitsverhältnis in irgendeiner Art besteht, wie Eltern,
Partner usw. Ohne diese schwierige Situation abwerten zu wollen, das Kind wird
es - wenn überhaupt - nur schwer nachvollziehen können.
Es kann für den Moment durchaus als persönlich richtige Entscheidung
erscheinen. Es kann sich aber im Laufe der Zeit herausstellen, dass die Weggabe
des Kindes die größte Fehlentscheidung des Lebens war.
Eine Freigabe ist eine endgültige Entscheidung gegen das Kind, welche nicht
widerrufen werden kann.
2. Entscheidung
Wer sich bereits für das Kind entschieden hat, sollte sich in keinem Fall von
diesem Entschluss abbringen lassen. Wenn Angehörige oder Partner die Hilfe
dabei verweigern, gibt es verschiedene andere Beratungsstellen, die helfen.
Beratung bedeutet aufzeigen von Möglichkeiten, um Wünsche umzusetzen oder Wege
aufzuzeigen, die für die Mutter und das Kind machbar wären und auch auf mögliche
Hilfen hinzuweisen. Die Entscheidung für das Kind dann umzusetzen, diese Wege
auch beschreiten, Hilfen einzufordern und anzunehmen, das ist dann die Aufgabe
der leiblichen Mutter.
Beratungsstellen befinden sich zwischenzeitlich in jeder größeren Ortschaft.
Dies kann Pro Familia, Diakonisches Werk, Caritas und auch das Jugendamt sein.
Ärzte können Adressen in der näheren Umgebung vermitteln.
3. Eine Unterschrift mit Folgen
Wie viel unterschreibt man in seinem Leben?
Eine Unterschrift zur Freigabe des Kindes ist eine besondere und vor allem
vielleicht eine gefühlte für, aber doch unausweichlich gegen das Kind. Bevor
die leibliche Mutter diese äußerst wichtige und nicht widerrufbare Unterschrift
leistet, sollte sie sich von mehreren, unabhängigen Stellen beraten lassen.
Wenn nötig auch mehrmals.
Lassen Sie sich über alle anderen möglichen Hilfen
aufklären. Fragen Sie gezielt danach. Die Unterschrift sollte nur getätigt
werden, wenn alle anderen Auswege und Lösungsansätze gescheitert sind.
Um Ihre Entscheidung zur Freigabe für sich endgültig zu machen und auch sich
selbst noch einmal vor einer Unterschrift zu prüfen, sollten Sie Ihrem Kind
einen Abschiedsbrief schreiben und die Umstände erklären, die dazu geführt
haben. Dieser Brief macht Ihnen selbst auch noch einmal die Endgültigkeit
bewusst und Sie können diesen beim Jugendamt hinterlegen.
Es gibt immer und zu jeder Zeit die Möglichkeit, Nachrichten für den
Adoptierten beim zuständigen Jugendamt abzugeben. Sie können bestimmen, ob
dieser Brief an die Adoptiveltern weitergegeben werden soll oder bis zu einer
eventuellen Suche Ihres Kindes nach seiner Herkunft in der Akte bleiben soll.
Denken Sie auch daran, wenn Sie z.B. umziehen oder heiraten, dass das Kind Sie
dann nur schwer ausfindig machen kann, sollte es Sie suchen wollen. Außerdem
zeigen diese Informationen dem Kind, dass es nicht einfach unerwünscht war.
Eine Unterschrift ist etwas Endgültiges, was heute überhaupt noch nicht
absehbare Folgen haben kann, weder für Sie und in erster Linie auch nicht für
das Kind.
Erst wenn man sich dessen bewusst ist, kann und muss man zum Wohle des Kindes
entscheiden.
4. Das Leben nach der Freigabe
Sie müssen sich im Klaren darüber sein, dass diese Entscheidung Ihr Leben und
auch das des Kindes für immer bestimmen wird. Das Gefühl wird allgegenwärtig
sein, ob man will oder nicht. Spätestens zum Zeitpunkt der Eheschließung des
Adoptierten erfährt dieser die Wahrheit. Auch wenn vielleicht Jahrzehnte vergangen
sind, wird die Vergangenheit Sie einholen, wenn der Adoptierte anfängt seine
Wurzeln zu suchen.
5. Die Suche
Es wird in den meisten Fällen nicht ausbleiben, dass die eine oder andere Seite
aus unterschiedlichen Beweggründen auf die Suche geht.
Die Suche Ihrerseits nach zur Adoption freigegebenen Kindern ist gesetzlich
verboten und steht unter Strafe (Ausforschungsverbot). Das Gesetz unterstreicht
damit die Endgültigkeit der Entscheidung zur Freigabe und der damit
einhergehenden Abgabe aller Rechte. Es soll damit sichergestellt werden, dass
das Kind normal aufwachsen kann und unterstützt dabei die Adoptiveltern in
jeder Hinsicht.
Eine Ausnahme sind die erfolgten Zwangsadoptionen in der ehemaligen DDR.
Ein begründeter Verdacht auf eine Zwangsadoption berechtigt nach Anerkennung
zum straffreien Suchen.
Wenn der Adoptierte auf die Suche geht, sucht er meistens keinen Elternersatz
sondern Antworten auf folgende Fragen:
Woher komme ich?
Was für Krankheiten traten auf?
Habe ich noch Geschwister und wo und wie kann ich sie finden?
Was hat die Freigabe zur Adoption für Gründe gehabt?
Das sind die Fragen, welche Adoptierte sich unter Umständen stellen. Sie
möchten einfach nur ein leeres Blatt ihrer Vergangenheit beschreiben können, an
das sich die Adoptierten nicht erinnern können.
Wenn der Adoptierte nach Beantwortung dieser Fragen den Kontakt wieder
abbricht, ist das für Sie vielleicht sehr schwer, aber akzeptieren Sie dies
bitte, auch wenn es für Sie eine bittere Erfahrung ist.
6. Aufklärung durch die Adoptiveltern
Es besteht keine gesetzliche Pflicht für Adoptiveltern Kinder über ihre
Herkunft aufzuklären oder Informationen und Briefe weiter zu leiten. Heute ist
es im Allgemeinen so, dass die Adoptiveltern offener mit dem Thema umgehen, den
Adoptierten aufklären und informieren. Adoptiveltern werden so vorbereitet und
geschult, dass eine Aufklärung des Kindes über seine Herkunft
selbstverständlich ist. Das ist allerdings keine Garantie und es hilft am Ende
nur das Vertrauen, dass die Adoptiveltern das Thema offen behandeln.
In früheren Jahren ist die Aufklärung von Adoptivkindern oft sehr spät oder gar
nicht erfolgt. Gründe dafür sind vielleicht auch die Angst und Scheu der
Adoptiveltern mit dem Kind über dieses Thema zu sprechen, zumal es
Adoptiveltern nicht müssen.
Auch aus diesen Gründen wäre es für den Adoptierten wichtig, wenn bei dem
zuständigen Jugendamt Briefe und zusätzlich Fotos von Ihnen hinterlegt sind.
Der Adoptierte hätte dann etwas in seinen Händen und könnte sich ein Bild
machen.
7. Kontaktaufnahme
Wenn der Adoptierte sich meldet (was in den meisten Fällen durchaus früher oder
später passiert), will er über seine Herkunft aufgeklärt werden. Darauf hat er
ein gesetzliches Recht und bekommt bei den Behörden auch die entsprechenden
Angaben.
Es ist für ein inzwischen erwachsenes „Kind“ - eventuell auch bereits mit
Familie - nur sehr schwer vorstellbar, ein eigenes Kind zur Adoption
freizugeben.
Der Adoptierte möchte eventuelle Geschwister/
Halbgeschwister kennen lernen. In der Regel spüren Adoptivkinder, dass noch
Geschwister existieren. Vielleicht existiert auch noch ein zugeschüttetes
Erinnern, wenn Ihr Kind eine Weile bei Ihnen gelebt und seine vorhandenen
Geschwister kennen gelernt hat.
Geschwister können unter Umständen oft ein gutes bis sehr gutes Verhältnis
untereinander aufbauen. Dies liegt vielleicht in der Unbefangenheit der
Geschwister begründet, sie waren alle Kinder und haben mit der Entscheidung der
Mutter/Eltern oder auch Gerichte nichts zu tun.
Als Einzelkind aufgewachsene Adoptivkinder haben sich vielleicht immer nach
Geschwistern gesehnt und durch das Kennen lernen geht ein unerfüllter Wunsch in
Erfüllung.
Bei einer Kontaktaufnahme ist es wichtig, dass alle ehrlich sind, denn der
Adoptierte spürt instinktiv, wenn er angelogen wird und steht oft Äußerungen
sehr misstrauisch gegenüber. Das hat nichts mit Ihnen zu tun, sondern mit dem
Umstand, dass keine Vertrauensbasis existiert oder er vielleicht schon andere
Informationen über die Umstände erhalten hat, die sich widersprechen.
Seien Sie sich bewusst, dass in der Regel sehr viel Zeit vergangen ist und der
Adoptierte alle Informationen erst verarbeiten und Sie erst einmal im Hier und
Heute kennen lernen muss, bevor er in irgendeiner Art eine Entscheidung über
den weiteren Weg treffen kann.
Wenn sich der Adoptierte für einen Kontakt entscheidet, benötigt es Zeit, um
die Gefühle zu sortieren.
Der Adoptierte hat schon durch die Suche eine Achterbahnfahrt der Gefühle
hinter sich und gleiches steht Ihnen und ihm auch weiterhin bevor.
Manche Herkunftsmütter kommen dabei so sehr ins Schleudern, dass sie ihre
ehemaligen Kinder ihrerseits ablehnen, enttäuscht sind und das auch zeigen,
weil die Adoptierten ihnen nicht das entgegenbringen, was sie sich erhofft
haben und Position beziehen. Das führt fast immer zu großen Problemen für die
Adoptierten, die sich dadurch unter Umständen unter Druck gesetzt fühlen und
immer weniger in der Lage sind, das innere Chaos zu ordnen.
8. Gemeinsame Zukunft?
Ob Sie in der Zukunft ihres Kindes einmal eine Rolle spielen, hängt von vielen
Faktoren ab und was für Sie vielleicht einmal ein Wiedersehen ist, ist für den
Adoptierten ein kennen lernen.
Bedenken Sie deshalb folgendes:
Der Adoptierte von damals will und kann nicht mehr das Kind von damals sein -
er ist erwachsen und hat Eltern und oft auch schon eine eigene Familie, die der
Adoptierte vor allen äußeren Einflüssen schützen will.
Akzeptieren Sie dies und versuchen Sie, eine neue Beziehung aufzubauen, die
nicht in Konkurrenz mit der Familie des nun erwachsenen „Kindes“ steht, denn
für eine Mutter-Kind-Beziehung ist es zu spät.
Der Adoptierte hat auch keine Schuld an der Vergangenheit, das ist das Wichtigste,
was Sie bedenken sollten.
Er ist seinen eigenen Weg gegangen mit Menschen, die ihn begleitet haben und
die sehr wichtig geworden sind. Das sind in der Regel die Adoptiveltern, die
den Adoptierten in guten und in schlechten Zeiten begleitet haben und zu denen
er eine Elternbindung hat, so wie Sie es sich für Ihr Kind gewünscht haben und
worauf Sie verzichten mussten. Solch eine Elternbeziehung kann nicht nachgeholt
werden und das müssen Sie akzeptieren.
Bedenken Sie auch, dass die Adoption auch bei ihrem zur Adoption freigegebenen
Kind, besonders wenn es eine Heimzeit durchlaufen musste, mehr oder weniger
große Spuren hinterlassen hat.
Der Adoptierte hat oft nur sehr geringe Angaben über seine Herkunft, die auch
nicht immer der Wahrheit entsprechen müssen. Nun wird er durch Sie eine weitere
Version seiner Geschichte hören. Er ist dadurch in einem großen Gewissenskonflikt.
„Wem glaube ich nun?“ Akzeptieren Sie das und geben sie sich und dem
Adoptierten Zeit, um es zu verarbeiten.
Lassen sie dem Adoptierten unbedingt das Tempo der Kontaktaufnahme bestimmen
und behandeln sie ihn als erwachsene Person mit eigener Vergangenheit und mit
einer Zukunft, über die nur er selbst bestimmt.
Auf keinen Fall sollten Sie den Adoptierten drängen und eine Bindung zu Ihnen
voraussetzen, die er nicht haben kann, auch wenn Sie Ihr „Kind“ all die Jahre
nie vergessen haben. Sie haben damals ein Kind weggegeben und nun die Chance
bekommen, eine Bindung zu einem so nahe stehend erscheinenden aber trotzdem
fremden Erwachsenen aufbauen und so auch den Schmerz der Weggabe lindern zu
können. Nutzen Sie diese eine Chance!